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Perfektionismus – Fluch, Segen oder einfach nur anstrengend?

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 21. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Wer kennt es nicht: das letzte Detail im Text wird noch einmal überarbeitet, die Wohnung noch einmal gesaugt, obwohl es eigentlich schon ordentlich aussieht. Perfektionismus gehört zum Alltag vieler Menschen und wird oft sogar als positive Eigenschaft betrachtet – immerhin stehen „Sorgfalt“ und „hohe Standards“ bei Arbeitgebern hoch im Kurs. Doch Perfektionismus ist ein zweischneidiges Schwert. Er kann motivieren und Leistungen steigern, aber auch blockieren, erschöpfen und im Extremfall krank machen.


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Wann Perfektionismus hilfreich sein kann


Ein gewisses Ausmass an Perfektionismus ist ohne Zweifel nützlich. Wer hohe Ansprüche an sich stellt, achtet auf Qualität, verpasst weniger leicht wichtige Details und erzielt gute Ergebnisse. Gerade in Berufen, in denen Genauigkeit zählt – etwa in der Medizin, im Ingenieurwesen oder in der Wissenschaft – kann ein gesunder Perfektionismus eine echte Stärke sein. Auch im Studium oder bei kreativen Projekten motiviert er, dranzubleiben und Ergebnisse zu liefern, die man mit Stolz präsentieren kann.

Wo Perfektionismus ins Ungesunde kippt


Problematisch wird es, wenn der innere Antreiber überhandnimmt. Wenn aus „Ich möchte gute Arbeit leisten“ ein ständiges „Es muss perfekt sein, sonst ist es wertlos“ wird. Dann verwandelt sich ein potenzieller Segen in einen Fluch. Perfektionistische Menschen können sich in endlosen Überarbeitungen verlieren, Entscheidungen hinauszögern oder Aufgaben gar nicht erst beginnen – aus Angst, sie nicht makellos zu erfüllen. Dieses Muster geht oft mit hoher Selbstkritik, Versagensängsten und starkem Stress einher. Nicht selten kommt es zu Schlafproblemen, Erschöpfung oder depressiven Verstimmungen.


Ein weiteres Risiko liegt in der sozialen Dimension: Wer sich selbst unerbittlich hohe Massstäbe setzt, erwartet diese oft auch von anderen. Das kann Beziehungen belasten – im Team, in der Partnerschaft oder in der Familie.

Perfektionismus vs. Zwangsstörung – wo liegt der Unterschied?


Perfektionismus wird oft mit einer Zwangsstörung verwechselt, doch die beiden Phänomene sind klar voneinander zu unterscheiden. Beim Perfektionismus geht es in erster Linie um hohe Ansprüche an die eigene Leistung und ein übersteigertes Streben nach Fehlerlosigkeit. Zwangsstörungen hingegen sind gekennzeichnet durch wiederkehrende, aufdrängende Gedanken (Zwänge) und/oder ritualisierte Handlungen (Zwangshandlungen), die meist dazu dienen, Angst oder Anspannung zu reduzieren.


Zwei Beispiele sollen das illustrieren:


  • Perfektionistisch ist jemand, der seine Masterarbeit 20-mal überarbeitet, weil er das Gefühl hat, sie könnte noch besser sein.

  • Zwanghaft wäre dagegen jemand, der die Arbeit immer wieder durchliest, weil er befürchtet, es könnten sonst katastrophale Folgen eintreten – etwa, dass ein Fehler im Text zu einem schweren Unfall führen wird.


Das heisst: Perfektionismus kann anstrengend und belastend sein, erfüllt aber meist eine leistungsbezogene Funktion. Eine Zwangsstörung dagegen ist eine klinische Diagnose, die Leidensdruck und erhebliche Einschränkungen im Alltag verursacht und in der Regel eine professionelle Behandlung erfordert.

Woher kommt Perfektionismus?


Perfektionismus entsteht selten über Nacht. Häufig spielt die Erziehung eine Rolle: Kinder, die nur für fehlerfreie Leistungen gelobt werden oder sehr kritische Bezugspersonen erleben, verinnerlichen den Glaubenssatz, dass nur Perfektion Anerkennung bringt. Auch gesellschaftliche Einflüsse verstärken das Muster: Soziale Medien zeigen scheinbar perfekte Körper, Wohnungen und Lebensläufe – eine permanente Vergleichssituation, die den inneren Druck erhöht.


Dazu kommt die individuelle Persönlichkeit: Manche Menschen sind von Natur aus gewissenhafter und empfindlicher für Kritik, was Perfektionismus verstärken kann.

Wege aus der Perfektionsfalle


Perfektionismus muss nicht gleich „abtrainiert“ werden – viele Menschen profitieren von ihren hohen Standards. Entscheidend ist, Mass und Balance zu finden. Hilfreich können dabei sein:


  • Realistische Ziele setzen: Nicht jede Aufgabe muss auf Spitzenniveau erledigt werden. „Gut genug“ ist oft wirklich gut genug.

  • Fehlerfreundlichkeit üben: Fehler sind Lernchancen, keine Katastrophen. Wer sie als Teil des Prozesses akzeptiert, nimmt sich Druck. Manchmal sind Fehler auch schlicht egal.

  • Prioritäten klären: Manche Bereiche dürfen perfekt sein (z. B. eine wichtige Präsentation), andere nicht (z. B. die Schublade, deren Inhalt nicht farblich sortiert ist).

  • Selbstmitgefühl entwickeln: Den inneren Kritiker durch einen wohlwollenden inneren Begleiter ersetzen – das entlastet nachhaltig.


Bei starkem Leidensdruck oder wenn Perfektionismus in eine lähmende Überforderung kippt, kann psychotherapeutische Unterstützung helfen, eingefahrene Muster zu erkennen und neue Strategien zu entwickeln.

Fazit


Perfektionismus ist weder per se ein Fluch noch ein Segen – sondern ein Persönlichkeitsmerkmal mit zwei Gesichtern. In Massen kann er motivieren und Leistungen verbessern. Wird er jedoch übermächtig, wird er anstrengend, blockierend und riskant für die psychische Gesundheit. Wichtig ist, Perfektionismus klar von Zwangsstörungen abzugrenzen und gleichzeitig einen gesunden Umgang mit den eigenen Ansprüchen zu lernen.


Am Ende bleibt die Frage: Muss wirklich alles perfekt sein? Oder reicht es manchmal, zufrieden zu sein – mit einem Ergebnis, das vielleicht nicht makellos, aber menschlich-sympathisch ist?

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.

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