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Wenn das Erlebte krank macht: Wie wird eine PTBS oder k-PTBS diagnostiziert?

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 19. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Traumafolgestörungen Teil 2/5


Manchmal liegt das Trauma schon Jahre zurück. Aber der Körper reagiert, als wäre es gerade eben passiert. Geräusche, Gerüche oder Orte können Trigger sein – und plötzlich ist man wieder mittendrin. Für viele Betroffene ist das der Alltag mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – oder der komplexen Variante (k-PTBS). Doch wie findet man eigentlich heraus, ob es sich wirklich um eine PTBS handelt? Heute geht’s um Diagnostik und Differentialdiagnostik – ein verständlicher Einblick für alle, die selbst betroffen sind, jemanden begleiten oder einfach mehr wissen möchten.



Es beginnt mit Zuhören - aber richtig


Wer eine traumatische Erfahrung gemacht hat, trägt oft ein ganzes Paket aus Erinnerungen, Gefühlen und körperlichen Reaktionen mit sich herum. Viele Betroffene haben längst versucht, „damit klarzukommen“ – manche jahrelang, ohne je über das Erlebte gesprochen zu haben. Darum beginnt eine traumasensible Diagnostik nicht mit bohrenden Fragen, sondern mit einem behutsamen Gespräch: Was ist passiert – und was hat es mit Ihnen gemacht?


Dabei interessiert sich die Fachperson vor allem für zwei Dinge:


  • Welche Erlebnisse waren eindeutig überfordernd oder lebensbedrohlich? (z. B. Gewalt, Missbrauch, schwere Unfälle, Krieg, Flucht, Ohnmachtssituationen)

  • Und wann im Leben gab es längere Phasen von Unsicherheit, Angst oder Kontrollverlust? (etwa durch emotionale Vernachlässigung in der Kindheit, Mobbing, instabile Beziehungen oder chronische Belastung)


Manchmal hilft es, gemeinsam eine Lebenslinie zu zeichnen – eine Art Zeitstrahl mit Höhen und Tiefen. Dabei kann sichtbar werden:


  • Wann erste Symptome aufgetreten sind (z. B. Schlafstörungen, Rückzug, Flashbacks)

  • Ob es eine Zeit „davor“ gab, in der man sich stabiler gefühlt hat

  • Und wie sich die Belastungen im Laufe der Jahre entwickelt haben


Wichtig zu wissen: Niemand muss sein Innerstes auf Anhieb auspacken. Viele Menschen erzählen beim ersten Gespräch nur das, was sie gerade aushalten können – und das ist völlig in Ordnung. Gute Diagnostik respektiert Grenzen und schafft einen sicheren Raum, in dem nichts muss.



Fragebögen & Interviews: Mehr als nur Kreuzchen


Um ein möglichst klares Bild zu bekommen, nutzen Psychotherapeut*innen oft strukturierte Fragebögen. Das klingt vielleicht trocken, ist aber in Wahrheit eine riesige Hilfe – denn viele Menschen haben gar nicht auf dem Schirm, was alles mit dem Trauma zusammenhängen kann.


Einige dieser Werkzeuge:


  • PCL-5: 20 Fragen zu typischen PTBS-Symptomen. Gut verständlich, schnell ausfüllbar.

  • ITQ: Fragt gezielt nach den Merkmalen der komplexen PTBS (also z. B. Probleme mit Gefühlen, Selbstwert, Beziehungen).

  • CAPS-Interview: Wird von Profis durchgeführt, dauert etwas länger, ist aber dafür sehr genau.


Wichtig: Ein Fragebogen ersetzt nie das Gespräch. Aber er hilft, Symptome sichtbar zu machen, die im Alltag oft untergehen – wie Schlafstörungen, emotionale Taubheit oder extreme Schreckhaftigkeit.



Ist das jetzt PTBS - oder etwas anderes?


Jemand hat Albträume, ist ständig angespannt, hat Schuldgefühle und zieht sich zurück. Klingt nach PTBS, oder? Könnte aber auch eine Depression sein. Oder eine Angststörung. Oder ein ganz normaler Trauerprozess. Darum machen Fachpersonen eine sogenannte Differentialdiagnostik. Das bedeutet:


  • Was spricht für PTBS oder k-PTBS?

  • Was spricht eher für eine andere Diagnose?

  • Oder: Gibt es vielleicht mehrere Probleme gleichzeitig?


Hier ein paar häufige Verwechslungskandidaten:

Mögliche Diagnose

Unterschied zur PTBS

Depression

Keine Flashbacks oder Reaktionen auf Trigger

Angststörung

Angst eher „allgemein“, nicht trauma-spezifisch

Borderline-Persönlichkeitsstörung

Starke Impulsivität & instabile Beziehungen seit der Adoleszenz

Trauerreaktion

Zentrum ist der Verlust – nicht das Erleben von Gefahr

Dissoziative Störung

Zeitlücken, Gefühl von „nicht ich sein“ stärker ausgeprägt

Das Ganze ist wie Puzzeln – nur mit sehr feinfühligen Teilen. Manchmal braucht es mehrere Sitzungen, manchmal auch andere Fachmeinungen. Wichtig ist: Gut Ding will Weile haben – vor allem bei der Seele.



Und was bringt die ganze Mühe?


Ganz einfach: Je klarer die Diagnose, desto besser lässt sich helfen.

Denn die Therapie bei einer „klassischen“ PTBS sieht oft anders aus als bei einer komplexen PTBS.


  • Bei PTBS stehen oft gezielte Konfrontation und Verarbeitung im Fokus (z. B. EMDR oder Traumaexposition).

  • Bei k-PTBS geht es zuerst darum, überhaupt wieder innere Stabilität und Selbstwert aufzubauen – bevor man sich ans Trauma wagt.


Ausserdem:


  • Eine exakte Diagnose kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden („Sie sind halt sensibel“ – nein, das hat andere Ursachen!).

  • Sie schafft Zugang zu Unterstützung – sei es durch Therapie, Sozialberatung oder Anerkennung im Renten- oder Versicherungssystem.

  • Und nicht zuletzt: Es entlastet. Viele Menschen atmen regelrecht auf, wenn das, was sie erleben, endlich einen Namen bekommt.



Fazit: Genau hinschauen lohnt sich


Die Diagnose einer PTBS (oder k-PTBS) ist ein Prozess – manchmal ein längerer. Aber es lohnt sich. Denn wer einmal wirklich verstanden wurde, kann sich auch besser selbst verstehen. Wenn Sie gerade an dem Punkt stehen, wo Sie sich fragen, „Ist das, was ich erlebe, noch normal?“ – dann sind Sie nicht allein. Und es ist völlig in Ordnung, sich Hilfe zu holen.


Im nächsten Teil schauen wir uns an, was bei der PTBS (oder k-PTBS) im Gehirn passiert.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.


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