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Achtsamkeit in der psychotherapeutischen Arbeit

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 12. Jan.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Jan.


In den letzten Jahren hat das Thema Achtsamkeit immer mehr an Bedeutung gewonnen – und das nicht ohne Grund. Was ursprünglich als spirituelle Praxis aus der buddhistischen Tradition bekannt war, hat sich mittlerweile zu einem etablierten Instrument in der Psychotherapie entwickelt. Insbesondere in der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Traumafolgestörungen.

Was ist Achtsamkeit eigentlich?

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, den gegenwärtigen Moment bewusst und ohne Bewertung wahrzunehmen. Es geht darum, die eigenen Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen zu beobachten, ohne sich in ihnen zu verlieren oder sie automatisch zu bewerten. Diese Art der Wahrnehmung fördert eine gewisse Distanz zu den eigenen inneren Erfahrungen – ein entscheidender Punkt, wenn es darum geht, psychische Belastungen zu verarbeiten.


Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie fühlen sich plötzlich ängstlich. Anstatt sofort in eine Spirale von negativen Gedanken und Sorgen zu geraten, könnten Sie innehalten und einfach bemerken: „Ich spüre gerade Angst.“ Ohne gleich zu denken, dass etwas Schlimmes passieren wird, können Sie die Angst als das betrachten, was sie ist – eine vorübergehende Erfahrung, die zwar unangenehm, aber nicht unkontrollierbar oder gar bedrohlich ist.



Achtsamkeit in der Psychotherapie: Wie kann sie helfen?

In der Psychotherapie kommt Achtsamkeit auf verschiedene Weise zum Einsatz. Sie kann als Bestandteil von etablierten Therapiemethoden wie der Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie (MBCT), der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) oder der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) verwendet werden. Aber auch in klassischen Gesprächstherapien findet Achtsamkeit zunehmend Anwendung.


Reduzierung von Stress und Angst

Das klassische Beispiel für den Einsatz von Achtsamkeit in der Psychotherapie ist die Behandlung von Angststörungen. Menschen, die unter ständiger Sorge oder Panikattacken leiden, haben oft die Tendenz, ihre Ängste zu verdrängen oder mit negativen Gedanken zu überlagern. Achtsamkeit lehrt die Patienten, ihre Ängste anzunehmen, sie zu spüren und bewusst wahrzunehmen, ohne dass diese sie überwältigen. Indem man die Angst nicht bekämpft, sondern einfach als ein Gefühl im Moment akzeptiert, kann eine tiefere Entspannung und Akzeptanz entstehen.


Veränderung der Beziehung zu belastenden Gedanken

Ein zentraler Punkt in der Therapie mit Achtsamkeit ist die Veränderung der Beziehung zu eigenen Gedanken. Viele Menschen, die unter Depressionen oder Angststörungen leiden, neigen dazu, ihre Gedanken als Wahrheit zu akzeptieren. Diese Gedanken bekommen so viel Macht, dass sie das gesamte Leben dominieren. Achtsamkeit hilft dabei, diese wenig hilfreichen Gedanken zu erkennen, aber nicht zu verurteilen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Ein negativer Gedanke wie „Ich werde nie glücklich sein“ wird nicht mehr als endgültige Wahrheit angesehen, sondern als vorübergehende Erscheinung, die genauso kommen und wieder gehen kann.


Förderung der Selbstakzeptanz und Mitgefühl

Ein weiterer wichtiger therapeutischer Aspekt von Achtsamkeit ist die Förderung von Selbstmitgefühl. Viele Menschen, die in psychischen Krisen stecken, neigen dazu, sich selbst sehr hart zu beurteilen. Sie werfen sich vor, „schwach“ oder „versagerhaft“ zu sein. Achtsamkeit hilft, diese inneren Kritiker zu erkennen und mit einem freundlicheren, akzeptierenden Blick auf sich selbst zu blicken. In der Praxis bedeutet das, dass der Therapeut mit der/dem Pat. zusammen arbeitet, um Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln, gerade in schwierigen Momenten.


Steigerung der emotionalen Resilienz

Achtsamkeit kann dazu beitragen, die emotionale Resilienz zu stärken – also die Fähigkeit, mit schwierigen Gefühlen und Lebensereignissen besser umzugehen. Indem man lernt, im Moment zu bleiben und schwierige Emotionen nicht sofort zu bewerten oder zu vermeiden, wird die psychische Widerstandskraft gestärkt. Gefühle wie Trauer, Wut oder Frustration verlieren dadurch ihren Schrecken und können als Teil des Lebens akzeptiert werden, anstatt sie zu verdrängen oder zu überdramatisieren.



Praktische Achtsamkeitsübungen in der Therapie (oder auch wo immer Sie gerade sind)

Um Achtsamkeit wirksam einzusetzen, gibt es eine Vielzahl von Übungen, die Ihnen helfen können, mehr im Moment präsent zu sein. Hier sind einige Beispiele:


Atemübungen: Eine einfache und sehr wirksame Übung ist das Fokussieren auf den eigenen Atem. Pat. werden angeleitet, sich auf den Atem zu konzentrieren, die Luft ein- und ausströmen zu spüren und die Gedanken bei jeder Ablenkung sanft zurück zum Atem zu lenken. Diese Übung kann helfen, den Geist zu beruhigen und den Fokus auf den gegenwärtigen Moment zu richten.


Body-Scan: Bei dieser Übung wird der Körper systematisch von Kopf bis Fuss "durchgescannt". Dabei geht es darum, die einzelnen Körperteile zu spüren, Verspannungen oder Unwohlsein wahrzunehmen und diese Empfindungen ohne Bewertung zu beobachten. Dies fördert das Bewusstsein für den eigenen Körper und hilft, Spannungen abzubauen.


Achtsamkeit im Alltag: Eine der grössten Herausforderungen ist es, Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren. Ein Weg dazu ist, kleine, alltägliche Aufgaben wie Zähneputzen oder Spazierengehen mit voller Achtsamkeit zu erledigen. Das bedeutet, sich auf die Sinneseindrücke zu konzentrieren: den Geschmack der Zahnpasta, das Geräusch der Schritte oder den Duft der Luft. Diese Übungen fördern ein tieferes Bewusstsein und tragen dazu bei, den Moment intensiver zu erleben.

Fazit: Achtsamkeit als Weg zu mehr Selbstakzeptanz und innerer Ruhe

Achtsamkeit ist mehr als nur ein Trend – sie ist ein kraftvolles therapeutisches Werkzeug, das in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung eine immer wichtigere Rolle spielt. Sie hilft, das eigene Erleben zu beobachten, statt sich von ihm überwältigen zu lassen - und fördert eine positive, akzeptierende Haltung gegenüber sich selbst und den eigenen Gefühlen. Wenn Sie sich in einer psychischen Krise befinden oder einfach nur mehr innere Ruhe und Ausgeglichenheit in Ihrem Leben erfahren möchten, könnte Achtsamkeit ein wertvoller Begleiter auf Ihrem Weg zu besserer Befindlichkeit sein. Wie bei jeder therapeutischen Technik braucht es aber Zeit und v. a. Übung, um Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren – aber der Lohn ist ein tieferes Verständnis für sich selbst und eine grössere Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Lebens.

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.

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