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Warum Grübeln keine Probleme löst - aber trotzdem so verführerisch ist

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 20. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Es gibt Dinge, die wir immer wieder tun, obwohl wir wissen, dass sie uns nicht guttun. Chips nach Mitternacht essen zum Beispiel. Oder die Lieblingsserie „nur noch fünf Minuten“ laufen lassen – und plötzlich ist es drei Uhr morgens. Und dann gibt es da noch das Grübeln. Stundenlanges Kreisen im Kopf, als hätte man eine kaputte Schallplatte aufgelegt. Und das Verrückte daran: Wir merken meist ziemlich schnell, dass es uns nicht weiterbringt. Trotzdem können wir kaum aufhören. Aber warum ist Grübeln so verführerisch – und gleichzeitig so wirkungslos? Ein Blick in die Psychologie und Neurowissenschaften gibt spannende Antworten.


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Grübeln – die Endlosschleife im Kopf


Psychologisch betrachtet ist Grübeln ein kognitiver Prozess, bei dem wir immer wieder über dieselben Probleme nachdenken, ohne zu einer Lösung zu kommen. Es unterscheidet sich von „gesundem Nachdenken“, weil Grübeln nicht zielgerichtet ist. Statt zu einer Erkenntnis zu führen, verstärkt es negative Gefühle.


Typische Grübel-Gedanken klingen zum Beispiel so:


  • „Warum habe ich das damals so gesagt?“

  • „Hätte ich es besser machen müssen?“

  • „Was, wenn morgen alles schiefläuft?“


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Neurowissenschaft: Das Gehirn liebt Schleifen


Spannend ist, dass Neurowissenschaftler für das Grübeln ein eigenes Netzwerk im Gehirn identifiziert haben: das sogenannte Default Mode Network (DMN). Dieses Netzwerk wird aktiv, wenn wir nicht bewusst auf eine Aufgabe konzentriert sind – also beim Tagträumen, Erinnern, aber auch beim Grübeln.


Das DMN verbindet Hirnregionen, die unter anderem mit Selbstreflexion, Erinnerungen und Zukunftsplanung zu tun haben. Eigentlich eine schlaue Einrichtung – schliesslich hilft es uns, aus Erfahrungen zu lernen und Pläne zu schmieden.


Das Problem: Bei Menschen, die zu viel grübeln (z. B. bei Depressionen oder Angststörungen), ist das DMN überaktiv. Das Gehirn läuft dann wie eine Waschmaschine im Endlos-Programm. Statt ein Problem zu „waschen und zu lösen“, wird es nur durchgeknetet, bis es völlig verformt ist.

Warum Grübeln so verführerisch wirkt


Man könnte meinen: Wenn Grübeln keinen Nutzen bringt, müssten wir doch sofort damit aufhören. Leider denkt das Gehirn nicht so logisch. Es gibt mindestens drei Gründe, warum Grübeln uns festhält:


  1. Das Gefühl von Kontrolle

    Wenn wir grübeln, haben wir das Gefühl, aktiv etwas zu tun. Das Gehirn suggeriert uns: „Ich arbeite doch gerade am Problem!“ – auch wenn wir in Wahrheit nur im Kreis laufen.

  2. Belohnung durch Schein-Einsichten

    Manchmal haben wir beim Grübeln kleine „Aha-Momente“. Das wirkt wie ein Dopamin-Kick: Kurz glauben wir, der Knoten sei geplatzt – bis sich die Gedanken doch wieder im Kreis drehen.

  3. Angst-Vermeidung

    Grübeln gibt uns die Illusion, dass wir Gefahren im Voraus kontrollieren können („Wenn ich nur lange genug drüber nachdenke, kann ich vorbereitet sein“). Neurowissenschaftler nennen das eine Art mentales Sicherheitsritual – ähnlich wie beim Zwangsdenken.

Forschung: Grübeln verstärkt das Leiden


Studien zeigen, dass Grübeln nicht nur wirkungslos ist, sondern sogar verstärkend auf negative Emotionen wirkt. In der Depressionsforschung gilt Grübeln als einer der wichtigsten Faktoren, die eine depressive Episode verlängern oder vertiefen.


Neuroimaging-Studien (z. B. an der University of Michigan) zeigen, dass das Grübeln die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, immer wieder aktiviert. Gleichzeitig bleibt die präfrontale Kontrolle schwach – also genau die Hirnregion, die eigentlich helfen sollte, rationale Lösungen zu finden. Ergebnis: mehr Stresshormone, schlechtere Stimmung, weniger Handlungsfähigkeit.


Kurz gesagt: Grübeln fühlt sich an, als würden wir an einer Lösung arbeiten – in Wirklichkeit blockieren wir uns selbst.

Und was hilft gegen Grübeln?


Die gute Nachricht: Grübeln ist kein Schicksal, sondern kann auch begrenzt werden. Neurowissenschaft und Psychotherapie bieten verschiedene Ansätze:


  • Achtsamkeitstraining: Studien belegen, dass Achtsamkeit (z. B. Atemübungen, Meditation) das DMN beruhigt. Statt in Gedankenkarussellen zu hängen, üben wir, den Moment bewusst wahrzunehmen.

  • Kognitive Verhaltenstherapie: Hier lernen Betroffene, Grübel-Gedanken zu erkennen und zu unterbrechen. Zum Beispiel durch „Stopp-Techniken“ oder das gezielte Einplanen von „Grübel-Zeit“.

  • Verhaltensexperimente: Oft hilft es, ins Handeln zu kommen. Wer grübelt, ob er einen Anruf vermasselt hat, kann die Person einfach anrufen – statt zehn Szenarien im Kopf durchzuspielen.

  • Körperliche Aktivität: Bewegung lenkt nicht nur ab, sondern aktiviert Netzwerke im Gehirn, die dem DMN entgegenwirken. Schon ein Spaziergang kann helfen, das Gedankenkarussell auszubremsen.

Fazit: Ein bisschen Nachdenken ja – Grübeln nein


Grübeln ist wie ein Kaugummi, an dem man schon zu lange kaut: Am Anfang hat er Geschmack, irgendwann ist er nur noch zäh und nutzlos. Die Neurowissenschaft zeigt, dass unser Gehirn Schleifen liebt – aber wir müssen lernen, auszusteigen, wenn die Runde endlos wird.


Also: Beim nächsten Mal, wenn Sie sich im Gedankenkarussell wiederfinden – denken Sie dran, dass es keinen Ausgang gibt, solange Sie sich immer im Kreis drehen. Manchmal ist es besser, einfach auszusteigen und den Platz zu wechseln.


Und wenn’s schwerfällt: Das geht nicht nur Ihnen so. Ihr Gehirn macht einfach das, was es evolutionär gelernt hat – manchmal ein bisschen zu gründlich. 😉

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