top of page

Psychische Gesundheit: Was ist das eigentlich?

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 31. Jan.
  • 4 Min. Lesezeit

Psychische Gesundheit – jeder hat eine Vorstellung davon, aber was genau steckt dahinter? Oft wird sie einfach als das Gegenteil von psychischer Krankheit verstanden. Wer nicht depressiv, ängstlich oder anderweitig beeinträchtigt ist, gilt als psychisch gesund. Doch diese Sichtweise greift zu kurz.

In Wahrheit ist psychische Gesundheit ein dynamisches Gleichgewicht, das durch innere und äussere Faktoren beeinflusst wird. Sie ist kein fester Zustand, den man einmal erreicht und dann für immer behält – vielmehr ist sie eine fortlaufende Anpassung an die Herausforderungen des Lebens.


Ein Balanceakt aus Fähigkeiten und Ressourcen

Jeder Mensch verfügt über individuelle Stärken und Fähigkeiten, die ihm helfen, das Leben zu bewältigen. Diese Ressourcen sind die Bausteine der psychischen Gesundheit und umfassen:

 

  • Kognitive Ressourcen: Die Fähigkeit, klar zu denken, Probleme zu lösen und sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

  • Emotionale Kompetenz: Die Fähigkeit, Gefühle zu erkennen, zu regulieren und in einen passenden Kontext zu setzen.

  • Soziale Fähigkeiten: Die Fähigkeit, tragfähige Beziehungen zu führen, empathisch zu sein und Konflikte zu bewältigen.

  • Ein stabiles Selbstwertgefühl: Das Vertrauen in die eigene Person, unabhängig von äusseren Bestätigungen.        


Diese Faktoren stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Wer etwa über ein stabiles Selbstwertgefühl verfügt, kann mit Rückschlägen oft besser umgehen. Wer gute soziale Fähigkeiten hat, findet leichter Unterstützung in schwierigen Zeiten.


Psychische Gesundheit bedeutet also nicht, dass alle diese Fähigkeiten perfekt ausgeprägt sind. Vielmehr geht es darum, eine innere Balance zu finden und Defizite in einem Bereich durch Stärken in anderen auszugleichen. 


Warum psychische Gesundheit mehr als „Funktionieren“ ist

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass psychische Gesundheit bedeutet, einfach „zu funktionieren“. Wer seinen Alltag meistert, zur Arbeit geht und seine Aufgaben erfüllt, muss doch psychisch gesund sein – oder?


Nicht unbedingt. Funktionalität allein sagt wenig über das innere Erleben eines Menschen aus. Viele Menschen kämpfen mit psychischen Belastungen, ohne dass es nach aussen hin sichtbar ist. Sie halten durch, verdrängen oder übergehen ihre eigenen Grenzen. Doch langfristig kann dieser Druck zu Erschöpfung, Burnout oder anderen psychischen Problemen führen.


Wirkliche psychische Gesundheit bedeutet daher nicht nur, dass wir „leisten“, sondern auch, dass wir mit unserem Leben im Einklang stehen. Dazu gehört, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, für uns selbst sorgen und authentisch mit unseren Emotionen umgehen können.


Psychische Gesundheit ist anpassungsfähig

Das Leben verläuft selten geradlinig. Verluste, Konflikte, unerwartete Wendungen – all das kann unser seelisches Gleichgewicht ins Wanken bringen. Psychische Gesundheit zeigt sich daher besonders in der Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen.


Man könnte sie mit einem Mobile vergleichen: Wird ein Teil des Systems gestört, gerät das ganze Gebilde ins Wanken. Doch ein flexibles Mobile findet früher oder später eine neue Balance. Ähnlich ist es mit der Psyche: Wer psychisch gesund ist, kann Rückschläge auffangen, sich anpassen und wieder zu einer stabilen Verfassung zurückfinden.


Die Bedeutung von Selbstregulation und Bewusstheit

Ein zentrales Element psychischer Gesundheit ist die Fähigkeit zur Selbstregulation – also die Fähigkeit, sich selbst zu steuern und auszubalancieren. Dazu gehört:


  • Gefühle differenzieren und einordnen können: Nicht jedes Unwohlsein ist eine Depression, nicht jede Angst eine Störung. Wer psychisch gesund ist, kann seine Emotionen einordnen und verstehen.  

  • Angemessene Bewältigungsstrategien nutzen: Statt problematische Mechanismen wie Verdrängung, Suchtverhalten oder übermässige Kontrolle einzusetzen, sind psychisch gesunde Menschen in der Lage, konstruktive Wege zur Stressbewältigung zu finden.  

  • Sich selbst fordern, aber nicht überfordern: Wer immer nur in der Komfortzone bleibt, stagniert. Wer sich hingegen ständig überlastet, riskiert Erschöpfung. Psychische Gesundheit bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Herausforderung und Erholung zu finden.

       

Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber

Psychische Gesundheit ist keine rein private Angelegenheit. Sie existiert nicht im luftleeren Raum, sondern immer im Kontext unseres Umfelds. Verantwortung und Verbindlichkeit spielen dabei eine zentrale Rolle – sowohl gegenüber uns selbst als auch gegenüber anderen.


Sich selbst gegenüber bedeutet das, achtsam mit den eigenen Bedürfnissen umzugehen, Grenzen zu setzen und für das eigene Wohlbefinden Sorge zu tragen. Anderen gegenüber bedeutet es, in Beziehungen respektvoll und empathisch zu sein, Konflikte fair zu lösen und sich als Teil eines sozialen Gefüges zu verstehen.


Menschen, die sich sowohl für ihr eigenes Wohlergehen als auch für das ihrer Mitmenschen verantwortlich fühlen, neigen dazu, stabilere soziale Beziehungen zu haben – ein wichtiger Schutzfaktor für psychische Gesundheit.


Psychische Gesundheit ist individuell

Es gibt keinen festen Massstab, der für alle gilt. Was für die eine Person ein Zeichen von psychischer Stabilität ist, kann für eine andere ganz anders aussehen. Einige Menschen brauchen viel soziale Interaktion, um sich wohlzufühlen, andere eher Rückzug und Ruhe. Manche finden Entspannung im Sport, andere in kreativen Aktivitäten.


Eine sinnvolle psychische Gesundheitsförderung setzt genau hier an: Sie hilft Menschen, ihre individuellen Ressourcen zu erkennen und zu nutzen, um ihr inneres Gleichgewicht zu stärken.

Fazit: Nicht Perfektion, sondern Flexibilität zählt

Psychische Gesundheit bedeutet nicht, dass man immer glücklich, leistungsfähig oder ausgeglichen ist. Vielmehr geht es darum, mit den Höhen und Tiefen des Lebens umgehen zu können – mit den eigenen Ressourcen, in Verbindung mit anderen und in einem dynamischen Gleichgewicht.  


Es ist wie beim Velofahren: Man bleibt nicht stehen, sondern balanciert sich ständig aus. Und solange wir diese Fähigkeit haben – mal besser, mal schlechter – sind wir psychisch gesund.

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.






bottom of page