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Sertralin - kleiner Helfer, grosse Wirkung?

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 9. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

In diesem Beitrag erkläre ich Ihnen, was Sertralin ist, wie es wirkt, wofür es in der Schweiz verschrieben wird und worauf Sie achten sollten. Von Wirkung und Nebenwirkungen über Mythen bis hin zu Alltagstipps – alles, was Sie wissen müssen, bevor Sie dem kleinen Serotonin-Booster eine Chance geben.


Vorweg: Was ist Sertralin überhaupt?


Sertralin klingt ein bisschen wie ein exotisches Mineralwasser – ist aber tatsächlich ein Medikament aus der Gruppe der Antidepressiva. Genauer gesagt: ein SSRI – das steht für Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.

Das bedeutet: Sertralin sorgt dafür, dass im Gehirn mehr Serotonin zur Verfügung steht – ein Botenstoff, der unter anderem für Stimmung, Antrieb und Wohlbefinden wichtig ist.


Und nein: Sertralin ist keine „Glückspille“. Sie macht nicht einfach künstlich fröhlich, sondern unterstützt das Gehirn dabei, wieder ins chemische Gleichgewicht zu kommen.


Wann verschreibt man Sertralin?


In der Schweiz wird Sertralin oft eingesetzt bei:


  • Depressionen – von mittel bis schwer

  • Angststörungen – zum Beispiel Panikattacken oder generalisierte Angststörung

  • Zwangsstörungen (OCD)

  • Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)

  • Sozialen Phobien – wenn Smalltalk in der Kaffeepause wie ein Horrorfilm wirkt


Manchmal auch bei anderen Indikationen, aber das wären dann „off-label“-Anwendungen – sprich: nicht offiziell zugelassen, aber medizinisch sinnvoll.


Wie wirkt Sertralin genau?


Stellen Sie sich Ihr Gehirn wie einen Bahnhof vor. Serotonin ist der freundliche Zugbegleiter, der gute Stimmung verteilt. Das Problem bei Depressionen und Ängsten: Der Zug fährt zwar, aber das Personal wird ständig zu schnell wieder eingesammelt.

Sertralin sorgt dafür, dass der Serotonin-Zugbegleiter länger im Einsatz bleibt und mehr „gute Stimmung“ an die Passagiere verteilt.


Das dauert allerdings:


  • Erste positive Effekte merkt man oft nach 1–2 Wochen

  • Die volle Wirkung entfaltet sich meist nach 4–6 Wochen


Das ist normal – Medikamente für die Psyche sind keine Espressi.


Wie nimmt man Sertralin ein?


  • Meist startet man mit 25–50 mg pro Tag

  • Je nach Wirkung und Verträglichkeit steigert man auf 50–200 mg täglich

  • Einnahme am besten morgens – Sertralin kann aktivierend wirken

  • Mit oder ohne Essen – ganz egal, Hauptsache täglich zur gleichen Zeit


Wichtig: Keine Dosissprünge auf eigene Faust!


Nebenwirkungen - das weniger glamouröse Kapitel


Ja, Sertralin hat wie jedes Medikament mögliche Nebenwirkungen. Die häufigsten zu Beginn:


  • Übelkeit oder Magen-Darm-Beschwerden

  • Kopfschmerzen

  • Schlafstörungen oder seltsame Träume

  • Anfangs gesteigerte Nervosität

  • Verminderte Libido oder sexuelle Funktionsstörungen


Die gute Nachricht: Viele dieser Effekte verschwinden nach den ersten Wochen.

Falls nicht – reden Sie mit uns Ärzten. Oft kann man die Dosis anpassen oder auf ein anderes Präparat umstellen.


Mythen & Missverständnisse


„Antidepressiva machen abhängig.“

❌ Nein. Sertralin verursacht keine Sucht. Allerdings sollte man es nicht abrupt absetzen, sondern langsam ausschleichen – sonst kann es Absetzsymptome geben (Schwindel, Kribbeln, Reizbarkeit).


„Sertralin verändert meine Persönlichkeit.“

❌ Nein. Ziel ist, dass Sie wieder Sie selbst werden – nur mit weniger depressiver Schwere oder lähmender Angst.


„Ich muss es für immer nehmen.“

❌ Nicht zwingend. Viele Patienten nehmen es 6–12 Monate nach Besserung weiter, um Rückfälle zu vermeiden. Manche länger, je nach Krankheitsverlauf.


Sertralin und Alkohol - geht das?


Offiziell: Besser nicht. Realistisch: Ein Glas Wein zum Geburtstag ist kein Drama, aber Regelmässigkeit und grosse Mengen sind keine gute Idee. Alkohol kann die Wirkung abschwächen und Nebenwirkungen verstärken – und psychisch eher zurückwerfen als helfen.


Sertralin im Alltag - ein paar Tipps


  1. Geduld ist Teil der Therapie.

    Es dauert, bis sich die Wirkung entfaltet. Nicht nach einer Woche entmutigen lassen.

  2. Kombination wirkt oft am besten.

    Medikamente + Psychotherapie = höhere Erfolgsquote.

  3. Regelmässige Kontrolle.

    Die verordnenden Fachpersonen schauen, wie es Ihnen geht, passen die Dosis an und achten auf Nebenwirkungen.

  4. Keine Selbstexperimente.

    Dosieren, pausieren oder absetzen – bitte nur in Absprache mit Ihrer Fachperson.

  5. Auf Signale achten.

    Wenn es Ihnen plötzlich schlechter geht oder Sie suizidale Gedanken haben – sofort melden!


Wann sollte man Sertralin nicht nehmen?


  • Bei bekannter Allergie gegen den Wirkstoff

  • In Kombination mit MAO-Hemmern (seltene ältere Antidepressiva) – das kann gefährlich werden

  • Vorsicht bei schweren Lebererkrankungen

  • Bei Schwangerschaft oder Stillzeit nur nach genauer ärztlicher Abwägung


Ein kurzer Blick in die Studienlage


Sertralin ist seit den 1990ern auf dem Markt – also kein Experiment.

Studien zeigen: Es wirkt bei Depressionen und Angststörungen mindestens so gut wie andere SSRIs, und wird oft besser vertragen als ältere Antidepressiva.


Besonders spannend: Manche Untersuchungen zeigen, dass Sertralin auch körperliche Symptome von Angststörungen – wie Herzrasen oder Magenprobleme – günstig beeinflussen kann.


Das Fazit vom Psychiater


Sertralin ist kein „Happy-Macher“, sondern ein seriöser, gut untersuchter Wirkstoff, der vielen Menschen aus Depressionen und Ängsten heraushelfen kann.

Es wirkt nicht über Nacht, und es ist kein Ersatz für Gesprächstherapie oder Veränderungen im Alltag – aber es kann wie ein chemischer Stützpfeiler helfen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.


Mein Tipp: Sehen Sie Sertralin nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als Werkzeug.

Wenn Ihr Knie entzündet ist, nehmen Sie ja auch ein Medikament – warum also nicht, wenn’s um die Seele geht?

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.

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