Wenn das Licht schwindet - über die jahreszeitenabhängige Depression
- Dr. med. Lienhard Maeck
- vor 6 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Wenn die Tage kürzer werden, rutscht bei manchen nicht nur die Temperatur nach unten, sondern auch die Stimmung. Die jahreszeitenabhängige Depression ist häufig – und gut behandelbar. Was hilft, zeigt dieser Beitrag.

Die saisonal abhängige Depression (SAD) ist eine wiederkehrende depressive Episode, die typischerweise im Herbst und Winter auftritt und sich im Frühling spontan bessert. Kennzeichnend sind Antriebsmangel, gedrückte Stimmung, erhöhtes Schlafbedürfnis und vermehrter Appetit auf Kohlenhydrate.
SAD - was passiert da eigentlich?
Tageslicht steuert über die Netzhaut im Auge unsere innere Uhr, die wiederum Hormone wie Melatonin (Schlafhormon) und Serotonin ("Stimmungshormon") reguliert. Wenn im Herbst die Lichteinstrahlung deutlich abnimmt, gerät dieses System aus dem Gleichgewicht: Der Melatoninspiegel steigt – wir fühlen uns müder, antriebsloser. Gleichzeitig sinkt die Serotoninaktivität – das schlägt auf die Stimmung.
Nicht alle Menschen reagieren gleich stark. Genetische Faktoren, eine erhöhte Lichtempfindlichkeit und hormonelle Einflüsse (bei Frauen häufiger) spielen eine Rolle.
Typische Symptome
Die jahreszeitenabhängige Depression hat ihr eigenes Muster:
gedrückte Stimmung, Interessenverlust, sozialer Rückzug
ausgeprägte Müdigkeit und erhöhtes Schlafbedürfnis
gesteigerter Appetit, besonders auf Kohlenhydrate („Winterhunger“)
Gewichtszunahme
Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit
Die Beschwerden beginnen meist im Oktober oder November und klingen im März oder April wieder ab.
Was hilft
Die Behandlungsempfehlungen sind gut erforscht und auch in der deutschsprachigen S3-Leitlinie Depression beschrieben:
Lichttherapie
Die wirksamste spezifische Behandlung. Empfohlen wird eine tägliche Bestrahlung mit etwa 10 000 Lux für 30 bis 45 Minuten, idealerweise am Morgen. Viele Betroffene spüren schon nach ein bis zwei Wochen eine deutliche Besserung. Wichtig: Nur zertifizierte medizinische Geräte verwenden – keine einfache Schreibtischlampe!

Bewegung und Tageslicht
Tägliche Spaziergänge, selbst bei grauem Himmel, wirken stärker als jede Innenbeleuchtung. Bewegung hebt zusätzlich den Serotoninspiegel und stabilisiert den Tagesrhythmus.
Psychotherapie
Besonders die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hat sich bewährt. Sie hilft, negative Denkmuster zu erkennen, Aktivität zu fördern und soziale Rückzüge zu verhindern. Manchmal wird sie schon vorbeugend vor der „dunklen Saison“ begonnen.
Medikamente
Wenn Lichttherapie und Psychotherapie nicht ausreichen oder die Depression stark ausgeprägt ist, kommen Antidepressiva (meist SSRIs) infrage. Sie werden nach denselben Grundsätzen eingesetzt wie bei anderen Depressionen, oft aber nur über die Wintermonate.
Vorbeugung
Wer weiss, dass er zu SAD neigt, kann schon im Spätsommer mit Lichttherapie oder psychotherapeutischer Unterstützung beginnen. Eine stabile Tagesstruktur und regelmässige Schlafenszeiten helfen zusätzlich.
Was man selbst tun kann
Feste Rituale schaffen: Zeiten für Licht, Bewegung und soziale Kontakte.
Morgens helles Licht, abends gedämpftes – das stabilisiert die innere Uhr.
Arbeitsplatz und Aufenthaltsorte möglichst am Fenster wählen.
Auf Ernährung achten: komplexe Kohlenhydrate, ausreichend Eiweiss, wenig Zucker und Alkohol.
Sich nicht verurteilen: Die dunkle Jahreszeit darf ein anderes Tempo haben.
Wann man therapeutische Hilfe holen sollte
Wenn die Niedergeschlagenheit länger als zwei Wochen anhält, Antrieb und Freude schwinden oder der Alltag kaum mehr zu bewältigen ist, sollte man nicht abwarten. Eine fachärztliche oder psychotherapeutische Abklärung hilft, die richtige Behandlung zu finden – und verhindert, dass sich die Depression von Jahr zu Jahr vertieft.
Zum Schluss
Die saisonale Depression ist keine Schwäche, sondern eine biologisch mitverursachte Erkrankung – und sie ist gut behandelbar. Mit Licht, Bewegung, Struktur und gegebenenfalls Therapie kehrt die Leichtigkeit meist schneller zurück, als man denkt. Und wenn im Frühling das erste helle Licht durch die Bäume fällt, weiss man: Es ist nicht nur die Sonne, die wiedergekommen ist, sondern auch ein Stück Lebensfreude.
Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.