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ADHS bei Erwachsenen: Fünf Missverständnisse, die Patient:innen am meisten blockieren

  • Autorenbild: Dr. med. Lienhard Maeck
    Dr. med. Lienhard Maeck
  • 7. Dez.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Dez.

ADHS ist längst kein reines Kinderthema mehr. In meiner Praxis begegnen mir regelmässig Menschen, die als Erwachsene erstmals verstehen, warum ihr Alltag sich oft wie ein permanenter Sprint anfühlt. Gleichzeitig gibt es rund um ADHS im Erwachsenenalter eine erstaunliche Anzahl an Missverständnissen, die Betroffene unnötig belasten – und oft Jahre bis Jahrzehnte vom richtigen Weg abhalten. Hier sind die fünf häufigsten Irrtümer, und warum sie so hartnäckig sind.


ADHS ist kein Mangel an Fokus - sondern ein Regulationsproblem.
ADHS ist kein Mangel an Fokus - sondern ein Regulationsproblem.

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1. „ADHS = Hyperaktivität“


Viele Erwachsene glauben, ADHS müsse sich durch sichtbare „Zappeligkeit“ auszeichnen. Dabei zeigt sich die Störung jenseits der Kindheit fast immer anders:


  • gedankliche Hyperaktivität statt körperlicher Unruhe

  • innere Rastlosigkeit

  • dauernd „auf Sendung“

  • Mühe, mental abzuschalten


ADHS im Erwachsenenalter ist oft die Hyperaktivität im Kopf, nicht im Körper. Dadurch wird es gerne übersehen – besonders bei Frauen.

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2. „Ich bin einfach faul oder unorganisiert.“


Wenn man sein Leben lang zu hören bekommt, man sei chaotisch, undiszipliniert oder „müsse sich nur mehr anstrengen“, entsteht ein hartnäckiges Selbstbild.


Neuropsychologisch wissen wir aber:

ADHS betrifft exekutive Funktionen – also Planen, Priorisieren, Starten, Dranbleiben, Abschliessen. Das hat nichts mit Faulheit zu tun. Das Gehirn arbeitet schlicht anders, vor allem beim:


  • Einschätzen der Zeit („Time Blindness“)

  • Priorisieren („Alles ist gleichzeitig wichtig oder unwichtig“)

  • Starten unangenehmer Aufgaben

  • Filtern von ablenkenden Reizen


Viele Betroffene sind hochkompetent – ihr Gehirn ist nur kein zuverlässiger Manager.

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3. „ADHS heisst, dass ich mich nicht konzentrieren kann.“


Einer der grössten Mythen.


Menschen mit ADHS können sich extrem gut konzentrieren – aber nicht immer dort, wo sie möchten. Man nennt das Hyperfokus:


  • stundenlang am gleichen Projekt

  • kreatives Versinken

  • unglaubliche Produktivität – aber nur bei intrinsischer Motivation


Das Problem ist also nicht ein Mangel an Fokus, sondern ein Regulationsproblem. Der Fokus lässt sich nicht willentlich steuern. Als würde jemand anders die Fernbedienung halten.

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4. „Medikamente machen abhängig.“


Eines der hartnäckigsten Missverständnisse.


Die Studienlage ist eindeutig: Medikamente wie Methylphenidat oder Lisdexamfetamin machen bei ADHS-Patient:innen, die sie bestimmungsgemäss einnehmen, nicht abhängig. Im Gegenteil: Sie senken das Risiko für Substanzmissbrauch, weil sie Impulsivität und Selbstregulation verbessern.


Wichtig ist eine fachärztliche Abklärung, korrekte Dosierung und Monitoring. Aber Abhängigkeit? Nein.

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5. „Alle haben doch ein bisschen ADHS.“


Ja, jeder vergisst mal etwas oder hat unstrukturierte Tage.

Der entscheidende Punkt ist: Bei ADHS führt die Symptomatik zu einer nachweisbaren, anhaltenden Beeinträchtigung des Alltags.


Das betrifft:


  • Arbeit (Prokrastination, Deadlines, Chaos)

  • Beziehungen (Vergessen, emotionale Übersensibilität, Rejection Sensitivity)

  • Selbstwertgefühl (lebenslange Selbstkritik, chronische Überforderung)

  • Gesundheit (Schlafprobleme, Stress, Überlastung)


ADHS ist eine neurobiologische Störung, keine Persönlichkeitseigenschaft. „Ein bisschen“ gibt es nicht.

🎯

Mini-Werkzeuge, die wirklich helfen


Damit der Artikel greifbar bleibt, hier drei besonders wirksame Strategien:


1. “Prep the future you”

Fragen Sie sich: Was kann ich heute tun, damit mein Morgen-Ich weniger Stress hat?

→ Kleidung rauslegen, Tasche packen, Timer aktivieren. Klein, simpel, effektiv.


2. Die 2-Minuten-Regel

Alles, was unter zwei Minuten dauert: jetzt erledigen. Perfekt für das ADHS-Gehirn, das dadurch Belohnung für Sofortaktion bekommt. Es umgeht damit den exekutiven Engpass "Wie, wann, wohin damit?“, indem es sich sagt:


➡️ „Wenn es unter zwei Minuten dauert, gibt’s keinen Diskurs – ich mach' es einfach.“


3. Externe Struktur statt Willenskraft

Statt „Ich muss mich einfach zusammenreissen“ → Tools nützen:


  • visueller Timer

  • getaktete To-Do-Listen

  • Apps wie Structured oder TickTick

  • Pomodoro-Zyklen


Externe Struktur ist keine Krücke, sondern ein Kompass.

💬 Fazit


ADHS bei Erwachsenen ist ein häufig übersehenes, oft missverstandenes Thema. Viele Patient:innen laufen jahrelang mit falschen Annahmen herum – und mit einem Selbstbild, das nie wirklich zu Ihnen gepasst hat. Wenn wir Missverständnisse auflösen, entsteht plötzlich etwas, das im Leben vieler Betroffener lange gefehlt hat: Erleichterung und Selbstakzeptanz.

Disclaimer: Dieser Blogbeitrag dient nur zu Informationszwecken und ersetzt keine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Therapeuten.

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